Der Magistrat hat das Bahn-Projekt am 2.9.1910 beschlossen und der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt (ISG, a.a.O. Magistratsbeschluß Nr. 1591 v. 2.9.1910).
Die Begründung des Straßenbahnamtes für die Berger Linie zeugte nicht nur von einem ungebrochenen Optimismus in Bezug auf die Entwicklung der Stadt, sie war hinsichtlich des Bedürfnisses, schnelle Bahnverbindungen zu schaffen, und in Bezug auf die Besiedlung des Heiligenstocks und des Lohrbergs geradezu visionär. Zweifellos wäre der Bahnbau auf dieser Trasse ein Katalysator für die geplante Besiedlung des Nordostens gewesen, doch die Stadtverordneten teilten diese planerische Weitsicht nicht und lehnten den Antrag des Magistrats ab: zu visionär, zu teuer, nicht nah genug an den konkreten Bedürfnissen der Menschen vor allem in Seckbach. Der Finanz- und der Tiefbau-Ausschuß der Stadtverordnetenversammlung hatten sich sodann in Kooperation mit dem Bahnamt und dem Tiefbauamt intensiv mit möglichen Alternativen befasst nach eingehender Erörterung der StVV schließlich vier Vorschläge unterbreitet:
I.) die Berger-Bahn, wie vom Bahnamt vorgeschlagen,
II.) die Verlängerung der Linie 22 durch Seckbach,
III.) von der damaligen Mousonstraße (heute Gwinnerstraße) nach Bergen
über die Enkheimer Straße (heute Vilbeler Landstraße)
IV.) wie III.), aber westlich der Strasse auf Frankfurter Gemarkung liegend
Gegen den Vorschlag des Bahnamtes wurde vor allem eingewandt, die Besiedlung des Heiligenstocks werde noch Jahre dauern und der Betrieb auf Jahre hinaus unwirtschaftlich sein. Die Seckbach-Variante wurde ein bißchen schön gerechnet, indem man in den Vergleich nicht die Kosten für den westlichen Teil bis zur Kirche einbezog, weil dieser Teil sowieso schon beschlossen sei. Gegen die Trassen III und IV sprachen die starken Steigungen von 1:16 bzw. 1:20, deretwegen die Strecken nur mit höchstens einem Anhängewagen befahren werden könnten.
Das Problem der von den Stadtverordneten und der Seckbacher Öffentlichkeit favorisierten Seckbacher Trasse war, dass die erforderlichen Grundstücke im Hinblick auf die Frist im Gas-Vertrag in kürzester Zeit erworben werden müssten, weshalb das Bahnamt diese Trasse mit besonderer Skepsis betrachtete. So heftig, wie um die „richtige“ Trasse für die Berger Bahn gestritten wurde, war es sowohl dem Magistrat als auch „den Seckbachern“ um weit mehr gegangen als nur den Anschluss von Bergen an die Straßenbahn.
Dem Magistrat ging es mit der Erschließung des Heiligenstocks und des Lohrbergs um ein besonders großes Stadtentwicklungsprojekt, mit dem der beginnenden Abwanderung der wohlhabenden Bevölkerung in den Taunus begegnet werden sollte. „Die Linie, die der Magistrat vorgeschlagen hatte, hatte die Absicht, den schönsten Teil Frankfurts der Bebauung zu erschließen und damit … eine Gegengewicht gegen die Bestrebungen eines Teils der Bevölkerung zu bieten, nach dem Taunus zu ziehen. Ich für meine Person – und der Magistrat teilt durchaus diesen Standpunkt – halte eine Gefahr der Abwanderung der wohlhabenden Kreise nach dem Taunus für eine außerordentlich große und ich glaube, daß die städtischen Behörden dafür sorgen müssen, daß diese Gebiete erschlossen werden, in welchen sich wohlhabende Leute gern anbauen.“ (ISG, Magistratsakte R 1763, Redebeitrag von OB Adickes in der StVV am 13.12.1910)
Den Seckbachern, die sich jedoch keineswegs einig waren, waren die Pläne des Magistrats gleichgültig, ihnen ging es primär um „ihre“ Linie 22: „Das Gelände, das durch die Seckbacher Bahn weiter versorgt wird, ist meiner Ansicht nach für die Bebauung viel schöner und wertvoller, als das Gelände dort oben. Es kommt noch hinzu, daß die bereits vorhandene Seckbacher Torsolinie fortgesetzt wird und dadurch eine vorhandene unrentable Linie rentabler gemacht wird. ...“ (ISG, a.a.O., Redebeitrag des StV von Lasaulx).
Nach ausführlicher, teils hitziger Debatte, lehnten die Stadtverordneten die „Magistratslinie“ über den Heiligenstock ab und ersuchten den Magistrat, die Fortführung der Linie 22 zu projektieren und zu kalkulieren. In weiser Voraussicht setzte der Magistrat jedoch nicht allein auf die Linie 22. In einem Vortrag an die Stadtverordneten vom 23.6.1911 legte er neben einer genauen Untersuchung der Trasse durch Seckbach noch eine Alternative durch die Gwinnerstraße (damals: Mousonstraße) vor, nicht ohne auf den Zeitdruck zu verweisen, der sich für den Anschluss Bergens aus dem Gas-Vertrag ergab.
Danach war der Magistrat zur Verlängerung der Linie 22 durch Seckbach nach Bergen nur bereit, wenn die für die Bahnstrecke im Umlegungsgebiet vom Heimgarten bis zur Auerfeldstraße erforderlichen Grundstücke innerhalb einer Frist von drei Monaten vom Tag des Stadtverordneten-Beschlusses zur Verfügung gestellt würden, sei es durch Zustimmung zum Grundstückstausch, sei es durch Verkauf, wobei der Magistrat bereit war, die erforderlichen Grundstücke bis zur Einigung über den Kaufpreis zu pachten. Würde der Grunderwerb scheitern, würde der Magistrat unverzüglich mit dem Bau der Strecke durch die Mouson-(= Gwinner-)Straße beginnen.
Diesem Vorschlag, einschließlich der 3-Monatsfrist, hat die StVV am 1.8.1911 zugestimmt. Schon eine Woche nach Fristablauf berichtete das Bahnamt an den Magistrat, die Linie 22 könne nicht verlängert werden, weil die erforderlichen Grundstücke in Seckbach nicht beschafft werden konnten: von 84 betroffenen Eigentümern haben nur 35 sofort zugestimmt, 24 haben abgelehnt oder unerfüllbare Bedingungen gestellt und 25 haben in der Frist überhaupt nicht reagiert.
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